Um halb sechs stehe ich auf, um sechs sitze ich auf dem Rad, um viertel nach sechs habe ich bereits Blutgeschmack im Mund. Etwas zittrig sitze ich um acht im Büro. Wie bitte soll ich mich in den kommenden neun Stunden Arbeit erholen um danach die zweite Intervall-Trainingseinheit an diesem Tag ordentlich durchführen zu können? Hat doch mit zwanzig auch geklappt - nur, dass ich damals nicht gearbeitet habe.

Nach zehn Jahren Abstinenz bin ich nun wieder A-Fahrer, einer von derzeit rund 200 Radrennsportlern in Deutschland. Wie es dazu kam? Wahrscheinlich ist mein kleines Ego daran schuld. Vergangenen Herbst hatte ich mich nach längerer Zeit mal wieder mit der Trainingswissenschaft beschäftigt, habe alte Trainingspläne und -protokolle gewälzt und mich gefragt, ob ich nach rund zehn Jahren ohne richtigen Rennsport noch mal schnell Radfahren können würde. Zuversichtlich hatte ich nach einigen Tagen den Rahmentrainingsplan für die Saison erstellt, zwei Trainingsaufenthalte auf Mallorca geplant und die ersten Rennen rausgesucht. Etwa 10.000 Kilometer (Herbst-Herbst) sollen es insgesamt werden, spätestens Ende Mai wollte ich wieder A-Fahrer sein.

Anfangs lief noch alles nach Plan: gut durch den Winter gekommen, fleißig im Dunkeln Kilometer gesammelt, Blutwerte gut, Körperfett unter zehn Prozent. Mallorca war auch prima, wo ich die Bergwertung eines Straßenrennens Ende Februar gewann. Die Ernüchterung kam direkt nach dem zweiten Aufenthalt auf der Insel: Salmonellen, mit all seinen Facetten. Zwei Wochen Bettruhe. Toll. Acheffel und Nortorf ohne mich.

Nach Antibiotikakur und ein paar ganz ruhigen Trainingseinheiten war ich dann Anfang April in Börger gestartet - und auch heil ins Ziel gekommen. Drei Wochen später, als die erste Platzierung in der C-Klasse in Hamm folgte, wusste ich, dass die Form sich nicht ganz verabschiedet hatte. Mit reichlich Intervalltraining und doch immerhin halbwegs strukturiertem Training bin ich dann doch noch irgendwie in Schwung gekommen. Bei den Landesmeisterschaften Anfang Mai stimmte die Form, allerdings hatte ich Materialdefekt. Beim Kriterium in Fuldabrück, bereits Ende Mai, hat dann endlich alles nach Plan geklappt und ich bin aufgestiegen. Die folgenden beiden Rennen (Buchholz und Borsum) bin ich dann jeweils knapp an einer Platzierung vorbeigerauscht.

Am 14.06., drei Wochen nach dem Aufstieg in die B-Klasse, wollte ich dann A-Fahrer werden und hatte mir das B-/C-Klasse-Rundstreckenrennen in Remlingen dafür ausgesucht. Erwartet hatte ich einen kleinen Rundkurs bei dem es zum Sprintfinale kommen würde. Das liegt mir. Gekommen ist es dann etwas anders: Die Runde war neun Kilometer lang und hatte es mir zwei Hügeln für norddeutsche Verhältnisse doch einigermaßen in sich. Bereits in der ersten von sieben Runden konnte ich mich mit einer etwa 25 Mann starken Gruppe vom Rest des Feldes absetzen. Zwei Runden später schrumpfte die Gruppe auf elf Mann, nicht mehr dabei war der Norddeutsche Meister im Einzelzeitfahren, Lars Bartlau. Prima, dachte ich, so purzelt jetzt einer nach dem anderen Runde für Runde am Berg hinten raus und übrig bleiben nur drei, vier Fahrer (wo ich natürlich hoffte, einer von zu sein), die den Sieg dann unter sich ausmachen. Naja, am letzten Berg in der letzten Runde waren wir aber immer noch zu elft. Die Attacke von Sebastian Heinrichs (Team b.o.c.) konnten dann nur Hauke Wittern (RG Hamburg) und ich mitgehen. Im folgenden Flachstück schlossen aber wieder fünf oder sechs Kontrahenten auf und ich ging nun davon aus, dass wir als Gruppe das Ziel erreichen würden. Auch prima, dachte ich, schließlich dürfte ich wohl der einzige in der Gruppe gewesen sein, der im Sprint schon mal André Greipel geschlagen hat. Ok, ist auch schon wieder zwölf Jahre her, aber das gibt trotzdem Selbstvertrauen. Etwa drei Kilometer vor dem Ziel hat dann aber Sebastian Heinrichs noch einmal versucht, mit Hauke Wittern wegzukommen und jetzt machte niemand Anstalten, ihnen nachzusteigen. Also bin ich wieder hin gesprungen, ohne die anderen dabei mit hinzuziehen. Wir waren wieder zu dritt. Etwa anderthalb Kilometer vor dem Ziel hat es Heinrichs ein letztes Mal versucht, wegzukommen, Wittern und ich konnten aber wieder aufschließen. Etwa 500 Meter vor dem Ziel waren wir also wieder oder immer noch zu dritt. Jetzt hieß es geduldig abwarten und die anderen beiden im Auge behalten. Heinrichs vorne, dahinter ich, an dritter Position Wittern. 300 Meter vor dem Ziel kann ich dann nicht mehr warten und gehe aus dem Sattel. Das Frequenztraining, die Intervalle, die vielen harten maximalen Antritte im Training, einfach nur umsetzen, denke ich für einen ganz kurzen Moment. Mit etwas über 60 km/h rolle ich als erster über den Zielstrich. Nach zehn Jahren wieder A-Fahrer. Geht also.

 

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